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NEWSLETTER 11/2017 
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Liebe Kolleginnen,
liebe Kollegen

«Freunde» kann man rasch loswerden. Als ich kürzlich bei der Zürcher Polizei ein Zugangsgesuch stellte, dauerte es nur Minuten, bis mich der altgediente Polizeisprecher Marco Cortesi anrief. «Wie lange arbeiten wir jetzt schon zusammen?», fragte er in einem autoritären Ton. In den letzten dreissig Jahren hatte ich immer wieder einmal eine Frage an die Zürcher Polizei. «Wieso kommen Sie jetzt plötzlich mit dem Gesetz?», doppelte er vorwurfsvoll nach – und schob einen Satz nach, den man als Drohung auffassen kann: Entweder wir regelten das jetzt wie bis anhin, ohne dass ich mit dem Gesetzbuch winke, oder dann habe dies Auswirkungen auf die weitere Zusammenarbeit.
 
Natürlich beharrte ich auf meinem Zugangsgesuch. Das ist mein gutes Recht. Die Unterlagen zur Racial-Profiling-Schulung von Zürcher Polizisten schickte mir Cortesi schliesslich zu. Auch seine Drohung machte er wahr und sagte ein in Aussicht gestelltes Hintergrundgespräch ab.

Mein Fazit: Ich fühle mich gut, viel besser, als wenn ich mich hätte gängeln lassen. Und ich bin sicher, dass der Polizeisprecher früher oder später einsehen wird, dass es unprofessionell ist, Medienschaffenden, die sich in Originalquellen informieren wollen, mit Sanktionsdrohungen einzudecken. 

Martin Stoll, Journalist und
Geschäftsführer Öffentlichkeitsgesetz.ch 

 

Transparenzprojekt noch immer auf der langen Bank

Seit elf Jahren ist die Bundesverwaltung laut Artikel 18 der Öffentlichkeitsverordnung verpflichtet, mit geeigneten Massnahmen «das Auffinden von Dokumenten zu erleichtern». Bereits 2013 hatte das Bundesarchiv eine IT-Lösung entwickelt, mit welcher Bundesdokumente gesucht und per Mausklick angefordert werden können. Mit diesem System wäre die Schweiz zu einem Transparenz-Musterknaben geworden. Doch die mächtige Generalsekretärenkonferenz (GSK) blockte das Vorhaben ab. Die Angst vor allzu viel Transparenz war bei den Chefbeamten gross. Aus «technischen Gründen» schob der Bundesrat das Projekt vor vier Jahren auf die lange Bank. Ärgerlich: Am Mittwoch verlängerte die Regierung die Sistierung bis Ende 2019 – die technischen Voraussetzungen seien noch immer nicht gegeben.
 

Armeeaufgebot für Neonazis und Dschihadisten

Lassen sich Extremisten vom Militär an der Waffe ausbilden? Der Sonntagsblick verlangte – gestützt auf das Öffentlichkeitsgesetz des Bundes – einen internen E-Mail-Wechsel zwischen der Fachstelle für Extremismus im Militär und dem Führungsstab der Armee. Die Erkenntnis daraus war ernüchternd: In mehreren Fällen hatten die Verantwortlichen nur mit Glück verhindern können, dass Rechtsextreme und Dschihadisten in die Rekrutenschule einrückten. 

Vorbereitung auf den Krieg: Rekruten werden in Isone (TI) zu Grenadieren ausgebildet. (Bild: Keystone, Christian Beutler)
Sonntagsblick-Journalist Fabian Eberhard hatte eine Mitteilung des VBS kritisch hinterfragt, in der Extremismus-Entwarnung gegeben wurde: «Sicherheitsrelevante Vorkommnisse blieben aus – keine Fälle grösseren Ausmasses», hatte die VBS-Pressestelle gemeldet. Mithilfe des Öffentlichkeitsgesetzes des Bundes (BGÖ) konnte Eberhard danach aufdecken: 2016 hatte die Armee einen vermutlich nach Syrien ausgereisten Islamisten für die Rekrutenschule aufgeboten. Erst im letzten Moment reagierte die Militärführung. Eine E-Mail warnte vor dem jungen Mann: «Angesichts der Sachlage ist es zu vermeiden, dass er – falls er in die Schweiz zurückreist – (...) an der Waffe ausgebildet wird.» Andere Fälle betrafen strafrechtlich verurteilte Gewalttäter, vor allem Rechtsextremisten und Hooligans.
 

Flotten-Debakel: Dokumente zeigen Schönfärberei 

Der Bankrott von Hochseeschiffen hat den Schweizer Steuerzahler bereits 215 Millionen Franken gekostet. Laut internen Dokumenten des Bundes könnte das Debakel noch viel teurer werden. Die in Schieflage geratene SCLSCT-Gruppe ist nämlich kein Einzelfall. Die Eidgenossenschaft bürgt bei vier Dutzend weiteren Schiffen von anderen Reedereien mit weiteren 512 Millionen Franken. Die Sonntagszeitung hat gestützt auf das Öffentlichkeitsgesetz interne Berichte des Bundesamts für Wirtschaftliche Landesversorgung (BWL) herausverlangt. So schreibt das BWL beispielsweise zur in Givisiez FR domizilierten Reederei Seamar S. A., dass diese weitere Verluste mit den noch vorhandenen Reserven nicht abdecken könne. 

Angesichts dieser Befunde stellt die Sonntagszeitung infrage, dass Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann mit offenen Karten spielte. Als dieser dem Parlament im Mai für die Sanierung der Schweizer Hochseeflotte 215 Millionen Franken abrang, sagte er: «Wenn der Markt vernünftig läuft, wenn die Konjunktur ein wenig anzieht, dann sind die verbleibenden Reedereien unter Schweizer Flagge nicht in Gefahr.»
 

Hartnäckiger Beauftragter kämpft gegen die Verwaltung

Die Walliser Kantonsverwaltung weigerte sich mit aller Kraft, einen Bericht zur Quecksilberverschmutzung durch die Lonza Chemie offenzulegen. Doch jetzt wird sie dazu gezwungen. Verdanken müssen wir dies einem Staatsbeamten: Sébastien Fanti (Foto), dem Walliser Datenschutzbeauftragten. Das Kantonsgericht hat die Beschwerde von Fanti gutgeheissen. Dieser legte sich für ein Zugangsgesuch des Westschweizer Fernsehens RTS ins Zeug. Eine Journalistin wollte 2014 Einsicht in ein Dokument haben, in dem die historischen Fakten zum Umwelt-Debakel aufbereitet worden waren. Doch das Zugangsgesuch lehnte das Walliser Umweltamt strikt ab. Als Fanti deshalb bei der Verwaltungsstelle vorstellig wurde, sei ihm ein Maulkorb verpasst worden, sagt dieser. Schliesslich wandte er sich ans Kantonsgericht, um eine Publikation zu erzwingen.
 

Bundesgericht setzte ein Zeichen gegen Kontrollfilz 

Vor dem Bundesgericht hat Öffentlichkeitsgesetz.ch einen wichtigen Pilotfall gewonnen. Das Bundesamt für Verkehr (BAV) wollte Dokumente seiner Inspektoren zur Verschlusssache erklären. Dank dem Rechtsfonds unseres Vereins und der Unterstützung des Tamedia-Rechtsdienstes konnte Klarheit geschaffen werden: Mit 5:0 Stimmen haben die Richter des Bundesgerichts das BAV dazu verpflichtet, die Datenbank vollumfänglich zu öffnen.

Infos auch zu Schwachstellen des öffentlichen Verkehrs: Bahnunfall in Penthalaz VD.  (Foto: Keystone/Laurent Gillieron)
Das Urteil ist wichtig, weil es einen Schulterschluss zwischen Kontrollierten und zu Kontrollierenden und so einen Kontroll-Filz verhindert. Die Bundesverwaltung wollte ein System etablieren, in dem Defizite und Missstände zwischen den Direktbeteiligten verhandelt werden können. 
Parallel zum Rechtsstreit versuchte das BAV, seine Inspektionstätigkeiten über eine Gesetzesänderung vom Öffentlichkeitsprinzip auszunehmen. Das betreffende Gesetz über die Organisation der Bahninfrastruktur (OBI) wird im Januar in der nationalrätlichen Kommission für Verkehr und Fernmeldewesen beraten. Öffentlichkeitsgesetz.ch hat mit Parlamentariern darüber gesprochen und sie darauf hingewiesen, dass das Öffentlichkeitsprinzip ausgehöhlt wird, wenn einzelne Verwaltungseinheiten versuchen, bei Gesetzesrevisionen Teilbereiche ihrer Tätigkeit vom Öffentlichkeitsgesetz auszunehmen.
Vor Bundesgericht erfolgreich war auch die Umweltorganisation Greenpeace. Das Bundesgericht hat das AKW Leibstadt dazu verpflichtet, Abluft-Messdaten zu publizieren.

 

Unterstützung von Keystone und SDA 

Öffentlichkeitsgesetz.ch darf auf eine zunehmende Zahl von Sponsoren zählen. Jetzt unterstützt uns auch die Bildagentur Keystone und die Schweizerische Depeschenagentur (SDA). Die beiden Nachrichten- und die Bildagenturen haben sich Ende Oktober zu einem multimedialen Unternehmen zusammengeschlossen. Die Beiträge unserer Sponsoren ermöglichen, dass wir Medienschaffenden eine breite Dienstleistungspalette kostenlos zur Verfügung stellen – von Rechtsauskünften über Schulungen bis hin zur Unterstützung vor Gericht.  
 

Keine geheimen Versammlungen mehr 

Während Jahren konnten Bündner Gemeindepräsidenten Medienschaffenden und anderen Aussenstehenden, zum Beispiel Besitzern von Zweitwohnungen, den Zugang zur Gemeindeversammlung verbieten. Die Versammlung war laut dem geltenden Gemeindegesetz registrierten Einwohnern vorbehalten. Jetzt hat das Bündner Kantonsparlament den alten Zopf endlich abgeschnitten. Die Gesetzes-Anpassung war allerdings heiss umstritten: Die vorberatende Kommission wollte die Zugangsentscheide den einzelnen Gemeinden überlassen. Zu dieser Willkür-Regelung kommt es jetzt zum Glück nicht. Immer wieder wurden unliebsame Medienschaffende in der Vergangenheit ohne Begründung von Gemeindeversammlungen ausgeschlossen und konnten sich nicht unmittelbar informieren. 
 

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Donnerstag, 1. Februar 18, Zürich: Werkstattgespräch mit der Agrarjournalistin Eveline Dudda.

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Thomas Merkli, Bundesrichter

 
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